Was ist Existenz-Philosophie / What is Existenz Philosophy?
Publikationen:
What is Existenz Philosophy? Übersetzt von William Barrett. Partisan Review 13 (1946),
34-56.
Was ist Existenz-Philosophy? In: Sechs Essays, 48-80.
Es war wohl eine Art Auftragsarbeit. William Barrett, damals »Assistant
Editor« von Partisan Review, schreibt in seiner Autobiographie The Truants.
Adventures Among the Intellectuals, amerikanische Intellektuelle hätten sich
nach dem Krieg sehr abgeschnitten gefühlt von dem, was in Europa und vor
allem in Frankreich damals diskutiert wurde. Von dort seien Gerüchte über
eine neue Bewegung in die Neue Welt gekommen, die sich als »Existentialism«
bezeichnete. »Nobody here knew what the word really meant; Philip Rahv,
as an alert editor, felt that this was something that had to be explained to
the American intellectual public.« Rahv sei es auch gewesen, der vorschlug,
Hannah Arendt mit einem Aufsatz über dieses Phänomen zu beauftragen,
wozu sie wegen ihrer »chosen role as interpreter of European culture to Americans«
prädestiniert gewesen sei. Und so hätten sich alle vier Herausgeber
der Zeitschrift – neben Barrett und Rahv auch William Phillips und Delmore
Schwartz – eines Tages mit Arendt zum Lunch verabredet, um mit ihr über den
geplanten Essay zu sprechen: »The upshot of the meeting was that she agreed
to write an article on Existentialism; the only difficulty was that she still felt
very uneasy in writing English, and on a subject so subtle and intricate as this,
she felt she could express herself adequately in German. That was alright,
Rahv suggested, like an army sergeant immediately ›volunteering‹ me and my
services: ›You write in German, and Will here will translate.‹«1
Als sich Arendt im Herbst 1945 an die Arbeit machte, war ihre Bibliothek
noch in Paris eingelagert; die Bücher kamen erst im Frühjahr 1950 in New
York an.2 Sie konnte daher nicht auf die Bände zurückgreifen, mit denen sie vor der Flucht aus Europa gearbeitet hatte. Da der Essay übersetzt werden
sollte, hätte sie bei vielen Texten, die sie ihren amerikanischen Lesern
vorstellte, auf englische Fassungen zurückgreifen können. Kants Kritik der
reinen Vernunft, Kierkegaards Philosophische Brocken und Abschließende
unwissenschaftliche Nachschrift sowie Jaspers’ Geistige Situation der Zeit
lagen in Übersetzung vor. Arendt schlug einen anderen Weg ein: Sie las alle
Texte auf deutsch, und zwar – wenn irgend möglich – in den Ausgaben, die
sie in Europa benutzt hatte.3 Da sie wohl in Bibliotheken und nicht zu Hause
arbeitete, schrieb sie Exzerpte auf Zettel und Karteikarten, die unvollständig
überliefert sind. Für den vorliegenden Aufsatz fanden sich lediglich Auszüge
aus Schellings Philosophie der Mythologie sowie Sartres La Nausée.4
Was Barrett im Herbst 1945 übersetzte, war kein Essay über französischen
»Existentialism«. Arendt hatte einen Aufsatz über deutsche »Existenz Philosophy
« geschrieben. Das Wort »Existenz« mußte im Titel stehen, darauf
hatte sie bestanden.5 Die neue Strömung aus Frankreich wird zwar gleich
im ersten Satz als »French literary movement of the last decade« definiert,
doch danach ist von »Existentialism« nicht mehr die Rede.6 Jean-Paul Sartre
kommt mit einem Zitat aus La Nausée zu Wort und Albert Camus mit einem
aus Le Mythe de Sisyphe, doch scheint dies ein Zugeständnis an amerikanische
Leser gewesen zu sein. Im deutschen Text spricht nur Albert Camus, und
von Existenzialismus ist an keiner Stelle die Rede.7
Ob Barrett entschied, dass Camus und Sartre französisch präsentiert, Zitate
aus deutschen Büchern dagegen ins Englische übersetzt wurden, ist nicht
bekannt. Trotz seines deutsch-englischen Titels mutet der Aufsatz seinen
Lesern keine Passagen in Arendts Muttersprache zu. Nur ein paar Begriffe
von Jaspers (»Abgleiten«, »Grenzsituationen«) und Heidegger (»Existenz«,
»Geworfenheit«) wurden eingestreut. Wie sich zeigt, übersetzte Barrett alle
Zitate selbst. Keines entspricht einer damals verfügbaren Übersetzung. Bei
den Werken, die im Aufsatz mit Titel genannt werden – Martin Heideggers
Sein und Zeit und Was ist Metaphysik, Karl Jaspers’ Psychologie der Weltanschauungen
sowie die dreibändige Philosophie – hatte Barrett keine Wahl; sie
wurden erst viel später auf Englisch veröffentlicht. Doch bei vielen anderen Büchern hätte er sich auf Übersetzungen stützen können. Seinen Ausführungen
zufolge autorisierte Arendt seine Arbeit: »I brought my translation to
her, for she had insisted she would want to look it over before printing; she
liked it, and the occasion was a very long and pleasant afternoon with her.«8
Offenbar hatten die Leser der Partisan Review andere Einblicke in europäisches
Denken erwartet: »Hannah Arendt was very disappointed in the
indifferent response to her own article, which we had printed as a kind of
introduction to the subject for our readers. She was also surprised and puzzled,
for she thought that these were ideas that would have a certain brio and
excitement for American intellectuals.«9 Eine Einführung ist der Essay sicher
nicht; und auch im Heft selbst wurde er etwas unglücklich platziert. Direkt
davor steht ein Auszug aus Sartres La Nausée; der Autor selbst wird folgendermaßen
vorgestellt: »One of the foremost writers of the new generation
in France and a leader of the existential movement has just launched a new
literary review in Paris.« Über Arendt heißt es dagegen, sie sei »a frequent
contributor to Partisan review. She was a student of Karl Jaspers in pre-Hitler
Germany«.10
Ein Blick in das nächste Heft von Partisan Review zeigt, dass die Zeitschrift
dem »French existentialism« einen Rahmen gab, der von Arendts Ansatz
weit entfernt war. Gewidmet ist es dem »New French Writing«; neben Sartre
und Camus werden Paul Valery, André Malraux, Jean Genet und Raymond
Queneau präsentiert. Verantwortlich für das Heft zeichnete Claude-Edmond
Magny, der in seiner Einleitung schrieb: »In the last few years Existentialism
has become so synonymous with atheism that one remembers with a kind of
shock that before the war the term ›Existential Philosophy‹ had been applied
almost exclusively to such profound Christian philosophers as Maritain,
Chestov, Berdyaeff and Gabriel Marcel, whose doctrine represented an effort
to think and live Christianity and whose masters – Kierkegaard, Heidegger,
Jaspers – had been indelibly marked by religion.«11
Vielleicht als Antwort darauf verfasste Arendt doch noch eine Art »introduction«
zum Existenzialismus. Allerdings nicht für Partisan Review,
sondern für The Nation. Dort erschien im Frühjahr 1946 ihr Aufsatz »French
Existentialism.«12 Der Ton – nicht nur leicht ironisch. Ob dieser Text besser
aufgenommen wurde als »Existenz Philosophy«, ist nicht bekannt. Im Archiv
von Partisan Review sind keine Reaktionen auf den Essay überliefert und auch in den wenigen Briefen, die Arendt aus diesen Jahren aufhob, fand sich
nur eine Antwort. Karl Löwith schrieb am 17. März 1946: »Durch einen
glücklichen Zufall kam mir der PR mit Ihrem Aufsatz in die Hände. Ich finde
Ihre Darstellung ausgezeichnet + staune wieviel Wesentliches Sie in so wenigen
Seiten sagen konnten – u. noch dazu auf Englisch! Wer sind die Herausgeber
dieser ungewöhnlichen Zeitschrift? Was Heidegger + Jaspers anlangt so
halte ich zwar nach wie vor H. für den ernster zu nehmenden Philosophen +
Jaspers Rede hat mir nur wieder bestätigt dass seine Ahnenreihe: Kierkeg. +
Humboldt hybrid ist. Aber das ist Sache der Einschätzung.«13
Auch in Deutschland wurde der Essay in den Rezensionen eher übergangen.
Helmuth Kuhn schrieb in German Books: »Since she is a philosopher
she does not dwell on the personal experience as such but transcends it by
rising to its general meaning. Advisedly she has given the central place in her
book to a philosophical essay. Under the title Was ist Existenzphilosophie?,
she deals with phenomenology, Kierkegaard, Heidegger and Jaspers from
the point of view of her teacher Jaspers. That man is a being designed to be
more than his own self and to will something greater than himself seems to
her the insight of an Existenz philosophy which has outgrown the phase of
its selfishness«.14
Eine Anmerkung
In der deutschen Druckfassung fehlt ein langer Satz zu Sartres La Nausée; an
einer weiteren Stelle unterscheidet er sich erheblich von der englischen. Für
Partisan Review hatte Arendt eine ausführliche Anmerkung geschrieben, in
der Heideggers Nähe zu den Nazis erörtert wird und ebenso die Rolle, die er
als Rektor der Freiburger Universität bei der Absetzung Husserls spielte: »Die
Anmerkung über Heidegger15 ist im Tatsächlichen nicht exakt. Ich vermute,
daß es sich in bezug auf Husserl um den Brief handelt, den damals jeder Rektor
an die vom Regime Ausgeschlossenen schreiben mußte. Daß Heidegger
sich für die Weiterführung seiner Lehre anbietet, wird vermutlich nicht gerade
unter Hinweis auf die ›Umerziehung‹ geschehen sein. Doch weiß ich nicht
authentisch, wie alles war. Substantiell ist natürlich wahr, was Sie berichten,
nur die Richtigkeit der Schilderung des äußerlichen Vorganges könnte nicht ganz exakt sein,“ so Karl Jaspers am 9. Juni 1946 (AJa, 79). In ihrer Antwort
vom 9. Juli 1946 besteht Arendt darauf, dass »Heidegger in dem Moment,
wo er seinen Namen unter dieses Schriftstück zu setzen hatte, hätte abdanken
müssen. Für wie töricht man ihn auch halten mag, diese Geschichte konnte
er verstehen. So weit konnte man ihm Verantwortung zumuten.« Mit einer
anderen Unterschrift wäre der Brief Husserl sicher gleichgültig gewesen, so
heißt es weiter, doch »da ich weiß, daß dieser Brief und diese Unterschrift ihn
beinahe umgebracht haben, kann ich nicht anders als Heidegger für einen
potentiellen Mörder zu halten.« (AJa, 84) In der deutschen Fassung ist die inkriminierte
Passage nicht zu finden. Wer sie gestrichen hat, wissen wir nicht.
Keine Neuauflage
Der Aufsatz wurde zu Arendts Lebzeiten nicht noch einmal publiziert, und
auch in die geplanten Neuauflagen der Sechs Essays sollte er nicht aufgenommen
werden. Arendt hat sich später ausdrücklich von diesem Text distanziert.
Calvin Schrag, der damals eine Dissertation über Kierkegaard und
Heidegger schreiben wollte und sich auf Paul Tillichs Rat an Arendt gewandt
hatte, bekam am 31. Dezember 1955 folgende Antwort: »I must warn you
of my essay on Existentialism, especiall[y] of the part on Heidegger which
is not only wholly inadequate but in part simply wrong. So, please forget
about it.«16
Eine Ironie der Publikationsgeschichte: Ausgerechnet der Essay, der zur
Zusammenstellung der Sechs Essay geführt hatte, spielte bei den ersten Überlegungen
zu einer Wiederauflage des Buches keine Rolle. Im Briefwechsel
mit Klaus Wagenbach wird der Aufsatz nicht ein einziges Mal erwähnt.
Offenbar dachte Wagenbach nie daran, diesen Text in den geplanten Band
aufzunehmen und Hannah Arendt nahm das ohne Rückfrage hin. Ein Jahrzehnt
später ist sie es, die den Aufsatz nicht noch einmal publizieren möchte.
Am 10. März 1975 schrieb Gottfried Honnefelder, er habe von Uwe Johnson
erfahren, dass Arendt den Aufsatz »›Was ist Existenzphilosophie?‹ gerne aus
dieser Sammlung herausgenommen wissen möchte. Dies ist sicherlich sinnvoll,
da hier der aktuelle spontane Zeitbezug (besonders in dem Abschnitt
über Heidegger) nicht wie bei den anderen Aufsätzen für sich selbst spricht,
wo die Zeitperspektive vom Leser ohne weiteres nachvollzogen werden kann,
sondern eingehend erklärt werden müßte. Dagegen nur den Heidegger-Abschnitt
herauszunehmen, würde sicherlich dem Thema Abbruch tun, denn eine gedankliche Linie des Aufsatzes ist ja doch, die schon bei Kant, Schelling
und Kierkegaard als Versuch phänomenologischer Reduktion interpretierten
Ansätze in der Heideggerschen Ausarbeitung (vor allem seinem Kant-Buch
nach) als ›Holzweg‹ aufzuweisen. Der Jaspers-Abschnitt scheint dann bei einer
Herausnahme ›Heideggers‹ in der historischen Gedankenführung keinen
rechten Halt mehr zu haben.«17
Und so fehlt in der erweiterten Neuauflage der Sechs Essays ausgerechnet
der Aufsatz, der der Grund für diese Publikation gewesen war.
William Barrett, ein »gescheiter und angenehmer junger Mann«, wie Arendt am 29. Januar
1946 an Jaspers schreibt, sollte umgekehrt einen »Bericht über amerikanische Philosophie
für die ›Wandlung‹« schreiben, aus dem aber nichts geworden ist. AJa, 69.
Arendt kannte Camus und Sartre aus ihrer Pariser Emigrationszeit: »Camus ist wahrscheinlich
weniger begabt als Sartre, aber viel wichtiger, weil viel ernsthafter und ehrlicher«,
schrieb sie am 17. August 1946 an Karl Jaspers. AJa, 102.
LOC, CG. In der Folge schreibt Löwith, dass er selbst gerne in Partisan Review veröffentlichen
wolle. Arendt hat wahrscheinlich nicht auf den Brief geantwortet; in der linken
oberen Ecke des Blattes steht »fan«.
Was ist Existenz-Philosophie / What is Existenz Philosophy?
Publikationen:
What is Existenz Philosophy? Übersetzt von William Barrett. Partisan Review 13 (1946), 34-56.
Was ist Existenz-Philosophy? In: Sechs Essays, 48-80.
Es war wohl eine Art Auftragsarbeit. William Barrett, damals »Assistant Editor« von Partisan Review, schreibt in seiner Autobiographie The Truants. Adventures Among the Intellectuals, amerikanische Intellektuelle hätten sich nach dem Krieg sehr abgeschnitten gefühlt von dem, was in Europa und vor allem in Frankreich damals diskutiert wurde. Von dort seien Gerüchte über eine neue Bewegung in die Neue Welt gekommen, die sich als »Existentialism« bezeichnete. »Nobody here knew what the word really meant; Philip Rahv, as an alert editor, felt that this was something that had to be explained to the American intellectual public.« Rahv sei es auch gewesen, der vorschlug, Hannah Arendt mit einem Aufsatz über dieses Phänomen zu beauftragen, wozu sie wegen ihrer »chosen role as interpreter of European culture to Americans« prädestiniert gewesen sei. Und so hätten sich alle vier Herausgeber der Zeitschrift – neben Barrett und Rahv auch William Phillips und Delmore Schwartz – eines Tages mit Arendt zum Lunch verabredet, um mit ihr über den geplanten Essay zu sprechen: »The upshot of the meeting was that she agreed to write an article on Existentialism; the only difficulty was that she still felt very uneasy in writing English, and on a subject so subtle and intricate as this, she felt she could express herself adequately in German. That was alright, Rahv suggested, like an army sergeant immediately ›volunteering‹ me and my services: ›You write in German, and Will here will translate.‹«1
Als sich Arendt im Herbst 1945 an die Arbeit machte, war ihre Bibliothek noch in Paris eingelagert; die Bücher kamen erst im Frühjahr 1950 in New York an.2 Sie konnte daher nicht auf die Bände zurückgreifen, mit denen sie vor der Flucht aus Europa gearbeitet hatte. Da der Essay übersetzt werden sollte, hätte sie bei vielen Texten, die sie ihren amerikanischen Lesern vorstellte, auf englische Fassungen zurückgreifen können. Kants Kritik der reinen Vernunft, Kierkegaards Philosophische Brocken und Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift sowie Jaspers’ Geistige Situation der Zeit lagen in Übersetzung vor. Arendt schlug einen anderen Weg ein: Sie las alle Texte auf deutsch, und zwar – wenn irgend möglich – in den Ausgaben, die sie in Europa benutzt hatte.3 Da sie wohl in Bibliotheken und nicht zu Hause arbeitete, schrieb sie Exzerpte auf Zettel und Karteikarten, die unvollständig überliefert sind. Für den vorliegenden Aufsatz fanden sich lediglich Auszüge aus Schellings Philosophie der Mythologie sowie Sartres La Nausée.4
Was Barrett im Herbst 1945 übersetzte, war kein Essay über französischen »Existentialism«. Arendt hatte einen Aufsatz über deutsche »Existenz Philosophy « geschrieben. Das Wort »Existenz« mußte im Titel stehen, darauf hatte sie bestanden.5 Die neue Strömung aus Frankreich wird zwar gleich im ersten Satz als »French literary movement of the last decade« definiert, doch danach ist von »Existentialism« nicht mehr die Rede.6 Jean-Paul Sartre kommt mit einem Zitat aus La Nausée zu Wort und Albert Camus mit einem aus Le Mythe de Sisyphe, doch scheint dies ein Zugeständnis an amerikanische Leser gewesen zu sein. Im deutschen Text spricht nur Albert Camus, und von Existenzialismus ist an keiner Stelle die Rede.7
Ob Barrett entschied, dass Camus und Sartre französisch präsentiert, Zitate aus deutschen Büchern dagegen ins Englische übersetzt wurden, ist nicht bekannt. Trotz seines deutsch-englischen Titels mutet der Aufsatz seinen Lesern keine Passagen in Arendts Muttersprache zu. Nur ein paar Begriffe von Jaspers (»Abgleiten«, »Grenzsituationen«) und Heidegger (»Existenz«, »Geworfenheit«) wurden eingestreut. Wie sich zeigt, übersetzte Barrett alle Zitate selbst. Keines entspricht einer damals verfügbaren Übersetzung. Bei den Werken, die im Aufsatz mit Titel genannt werden – Martin Heideggers Sein und Zeit und Was ist Metaphysik, Karl Jaspers’ Psychologie der Weltanschauungen sowie die dreibändige Philosophie – hatte Barrett keine Wahl; sie wurden erst viel später auf Englisch veröffentlicht. Doch bei vielen anderen Büchern hätte er sich auf Übersetzungen stützen können. Seinen Ausführungen zufolge autorisierte Arendt seine Arbeit: »I brought my translation to her, for she had insisted she would want to look it over before printing; she liked it, and the occasion was a very long and pleasant afternoon with her.«8
Offenbar hatten die Leser der Partisan Review andere Einblicke in europäisches Denken erwartet: »Hannah Arendt was very disappointed in the indifferent response to her own article, which we had printed as a kind of introduction to the subject for our readers. She was also surprised and puzzled, for she thought that these were ideas that would have a certain brio and excitement for American intellectuals.«9 Eine Einführung ist der Essay sicher nicht; und auch im Heft selbst wurde er etwas unglücklich platziert. Direkt davor steht ein Auszug aus Sartres La Nausée; der Autor selbst wird folgendermaßen vorgestellt: »One of the foremost writers of the new generation in France and a leader of the existential movement has just launched a new literary review in Paris.« Über Arendt heißt es dagegen, sie sei »a frequent contributor to Partisan review. She was a student of Karl Jaspers in pre-Hitler Germany«.10
Ein Blick in das nächste Heft von Partisan Review zeigt, dass die Zeitschrift dem »French existentialism« einen Rahmen gab, der von Arendts Ansatz weit entfernt war. Gewidmet ist es dem »New French Writing«; neben Sartre und Camus werden Paul Valery, André Malraux, Jean Genet und Raymond Queneau präsentiert. Verantwortlich für das Heft zeichnete Claude-Edmond Magny, der in seiner Einleitung schrieb: »In the last few years Existentialism has become so synonymous with atheism that one remembers with a kind of shock that before the war the term ›Existential Philosophy‹ had been applied almost exclusively to such profound Christian philosophers as Maritain, Chestov, Berdyaeff and Gabriel Marcel, whose doctrine represented an effort to think and live Christianity and whose masters – Kierkegaard, Heidegger, Jaspers – had been indelibly marked by religion.«11
Vielleicht als Antwort darauf verfasste Arendt doch noch eine Art »introduction« zum Existenzialismus. Allerdings nicht für Partisan Review, sondern für The Nation. Dort erschien im Frühjahr 1946 ihr Aufsatz »French Existentialism.«12 Der Ton – nicht nur leicht ironisch. Ob dieser Text besser aufgenommen wurde als »Existenz Philosophy«, ist nicht bekannt. Im Archiv von Partisan Review sind keine Reaktionen auf den Essay überliefert und auch in den wenigen Briefen, die Arendt aus diesen Jahren aufhob, fand sich nur eine Antwort. Karl Löwith schrieb am 17. März 1946: »Durch einen glücklichen Zufall kam mir der PR mit Ihrem Aufsatz in die Hände. Ich finde Ihre Darstellung ausgezeichnet + staune wieviel Wesentliches Sie in so wenigen Seiten sagen konnten – u. noch dazu auf Englisch! Wer sind die Herausgeber dieser ungewöhnlichen Zeitschrift? Was Heidegger + Jaspers anlangt so halte ich zwar nach wie vor H. für den ernster zu nehmenden Philosophen + Jaspers Rede hat mir nur wieder bestätigt dass seine Ahnenreihe: Kierkeg. + Humboldt hybrid ist. Aber das ist Sache der Einschätzung.«13
Auch in Deutschland wurde der Essay in den Rezensionen eher übergangen. Helmuth Kuhn schrieb in German Books: »Since she is a philosopher she does not dwell on the personal experience as such but transcends it by rising to its general meaning. Advisedly she has given the central place in her book to a philosophical essay. Under the title Was ist Existenzphilosophie?, she deals with phenomenology, Kierkegaard, Heidegger and Jaspers from the point of view of her teacher Jaspers. That man is a being designed to be more than his own self and to will something greater than himself seems to her the insight of an Existenz philosophy which has outgrown the phase of its selfishness«.14
Eine Anmerkung
In der deutschen Druckfassung fehlt ein langer Satz zu Sartres La Nausée; an einer weiteren Stelle unterscheidet er sich erheblich von der englischen. Für Partisan Review hatte Arendt eine ausführliche Anmerkung geschrieben, in der Heideggers Nähe zu den Nazis erörtert wird und ebenso die Rolle, die er als Rektor der Freiburger Universität bei der Absetzung Husserls spielte: »Die Anmerkung über Heidegger15 ist im Tatsächlichen nicht exakt. Ich vermute, daß es sich in bezug auf Husserl um den Brief handelt, den damals jeder Rektor an die vom Regime Ausgeschlossenen schreiben mußte. Daß Heidegger sich für die Weiterführung seiner Lehre anbietet, wird vermutlich nicht gerade unter Hinweis auf die ›Umerziehung‹ geschehen sein. Doch weiß ich nicht authentisch, wie alles war. Substantiell ist natürlich wahr, was Sie berichten, nur die Richtigkeit der Schilderung des äußerlichen Vorganges könnte nicht ganz exakt sein,“ so Karl Jaspers am 9. Juni 1946 (AJa, 79). In ihrer Antwort vom 9. Juli 1946 besteht Arendt darauf, dass »Heidegger in dem Moment, wo er seinen Namen unter dieses Schriftstück zu setzen hatte, hätte abdanken müssen. Für wie töricht man ihn auch halten mag, diese Geschichte konnte er verstehen. So weit konnte man ihm Verantwortung zumuten.« Mit einer anderen Unterschrift wäre der Brief Husserl sicher gleichgültig gewesen, so heißt es weiter, doch »da ich weiß, daß dieser Brief und diese Unterschrift ihn beinahe umgebracht haben, kann ich nicht anders als Heidegger für einen potentiellen Mörder zu halten.« (AJa, 84) In der deutschen Fassung ist die inkriminierte Passage nicht zu finden. Wer sie gestrichen hat, wissen wir nicht.
Keine Neuauflage
Der Aufsatz wurde zu Arendts Lebzeiten nicht noch einmal publiziert, und auch in die geplanten Neuauflagen der Sechs Essays sollte er nicht aufgenommen werden. Arendt hat sich später ausdrücklich von diesem Text distanziert. Calvin Schrag, der damals eine Dissertation über Kierkegaard und Heidegger schreiben wollte und sich auf Paul Tillichs Rat an Arendt gewandt hatte, bekam am 31. Dezember 1955 folgende Antwort: »I must warn you of my essay on Existentialism, especiall[y] of the part on Heidegger which is not only wholly inadequate but in part simply wrong. So, please forget about it.«16
Eine Ironie der Publikationsgeschichte: Ausgerechnet der Essay, der zur Zusammenstellung der Sechs Essay geführt hatte, spielte bei den ersten Überlegungen zu einer Wiederauflage des Buches keine Rolle. Im Briefwechsel mit Klaus Wagenbach wird der Aufsatz nicht ein einziges Mal erwähnt. Offenbar dachte Wagenbach nie daran, diesen Text in den geplanten Band aufzunehmen und Hannah Arendt nahm das ohne Rückfrage hin. Ein Jahrzehnt später ist sie es, die den Aufsatz nicht noch einmal publizieren möchte. Am 10. März 1975 schrieb Gottfried Honnefelder, er habe von Uwe Johnson erfahren, dass Arendt den Aufsatz »›Was ist Existenzphilosophie?‹ gerne aus dieser Sammlung herausgenommen wissen möchte. Dies ist sicherlich sinnvoll, da hier der aktuelle spontane Zeitbezug (besonders in dem Abschnitt über Heidegger) nicht wie bei den anderen Aufsätzen für sich selbst spricht, wo die Zeitperspektive vom Leser ohne weiteres nachvollzogen werden kann, sondern eingehend erklärt werden müßte. Dagegen nur den Heidegger-Abschnitt herauszunehmen, würde sicherlich dem Thema Abbruch tun, denn eine gedankliche Linie des Aufsatzes ist ja doch, die schon bei Kant, Schelling und Kierkegaard als Versuch phänomenologischer Reduktion interpretierten Ansätze in der Heideggerschen Ausarbeitung (vor allem seinem Kant-Buch nach) als ›Holzweg‹ aufzuweisen. Der Jaspers-Abschnitt scheint dann bei einer Herausnahme ›Heideggers‹ in der historischen Gedankenführung keinen rechten Halt mehr zu haben.«17
Und so fehlt in der erweiterten Neuauflage der Sechs Essays ausgerechnet der Aufsatz, der der Grund für diese Publikation gewesen war.
Barbara Hahn
1
William Barrett. The Truants. Adventures Among the Intellectuals. New York 1982, 100-101.
2
Vgl. dazu das Nachwort zu MCT, 835-836.
3
So wird Kierkegaard nach der Ausgabe des Diederichs Verlag zitiert, von der sich sechs der zehn Bände in ihrer Bibliothek finden.
4
Folder »Excerpts. Notes«, LOC.
5
William Barrett, ein »gescheiter und angenehmer junger Mann«, wie Arendt am 29. Januar 1946 an Jaspers schreibt, sollte umgekehrt einen »Bericht über amerikanische Philosophie für die ›Wandlung‹« schreiben, aus dem aber nichts geworden ist. AJa, 69.
6
Vgl. »What is Existenz Philosophy?«.
7
Arendt kannte Camus und Sartre aus ihrer Pariser Emigrationszeit: »Camus ist wahrscheinlich weniger begabt als Sartre, aber viel wichtiger, weil viel ernsthafter und ehrlicher«, schrieb sie am 17. August 1946 an Karl Jaspers. AJa, 102.
8
Barrett. The Truants. 102.
9
Barrett. The Truants. 123.
10
Partisan Review 1 (1946), ohne Seite.
11
Partisan Review 2 (1946), 174.
12
The Nation 162 (1946), 226-228.
13
LOC, CG. In der Folge schreibt Löwith, dass er selbst gerne in Partisan Review veröffentlichen wolle. Arendt hat wahrscheinlich nicht auf den Brief geantwortet; in der linken oberen Ecke des Blattes steht »fan«.
14
Helmuth Kuhn. »Arendt, Hannah. Sechs Essays«. German Books. A Selective Critical Bibliography of Publications in German. Bd. II /1. März 1949, 2.
15
Vgl. Fußnote in »What is Existenz Philosophy?«.
16
LOC, CG.
17
DLA. Suhrkamp.