Sechs Essays war das erste Buch, mit dem sich Hannah Arendt nach dem Zweiten Weltkrieg an die deutsche Öffentlichkeit wandte. »Es fällt ja heute einem Juden nicht leicht, in Deutschland zu veröffentlichen, und sei er ein Jude deutscher Sprache«, so heißt es zu Beginn. Auch wenn Arendt die hier gesammelten Texte in ihrer Muttersprache verfasste, sind sie aus der Sicht des Exils geschrieben. Sie entwerfen eine »verborgene Tradition«, in der die Stimmen von Heinrich Heine und Franz Kafka, von Bernard Lazare und Stefan Zweig zu hören sind. Sie konfrontieren Leser im Nachkriegsdeutschland mit »Organisierter Schuld« an Verbrechen, für die nach dem Krieg niemand die Verantwortung übernehmen wollte.
Die Ausgabe von 1948 ist als »Ausgabe letzter Hand« anzusehen. 1976, ein halbes Jahr nach Arendts Tod, konnte das Buch noch einmal erscheinen – um zwei Aufsätze erweitert: „Aufklärung und Judenfrage“ und „Der Zionismus aus heutiger Sicht“. Neben den deutschen Originalfassungen der Essays präsentieren wir auch die englischen Versionen, die zwischen 1943 und 1946 in verschiedenen amerikanischen Zeitschriften erschienen waren. Nur von zwei Texten, „Zionism Reconsidered“ und „Zueignung. An Karl Jaspers“, waren Typoskripte zu finden.
In den Einleitungskommentaren wurden Entstehung, Übersetzung, Veröffentlichungsgeschichte sowie Reaktionen auf die Aufsätze rekonstruiert. Von den deutschen Fassungen der Texte wurde nur der Essay über Franz Kafka von Arendt substantiell für die Publikation in den Sechs Essays überarbeitet. Auf beiden Seiten des Atlantiks begründeten die hier gesammelten Texte Arendts Ruhm als Essayistin.